ANGEDACHT

Blick zurück nach vorne

Liebe Gemeinde, mit großen Schritten geht es auf die Fusion der Kirchengemeinden Brebach-Fechingen und Schafbrücke zu. Während manche von uns mit Sorge auf diese Entwicklung schauen, sehen andere vor allem die Chancen, die dieser Prozess mit sich bringt. Beides ist berechtigt. Beides darf seinen Raum haben. Als ich neulich darüber nachgedacht habe, habe ich mich daran erinnert, wie man mit der Bibel den Blick zurück nach vorne einüben kann. Während des Studiums betonte unser Professor für Altes Testament regelmäßig, dass die Menschen in der Bibel einen anderen Blick auf das Leben hatten, als wir heute im (damals noch 20.) 21. Jahrhundert. Während wir nach vorne schauen, uns also der Zukunft zu- und von der Vergangenheit abwenden, geschah früher das Gegenteil.

 

Der Blick wurde bewusst zurück auf die großen Heilstaten Gottes gerichtet. Man besann sich immer wieder neu auf die Verheißungen an die Erzväter Abraham, Isaak und Jakob, auf die Befreiung des Volkes Israel aus der Knechtschaft in Ägypten und auf den Bundesschluss am Sinai. Bildlich gesprochen gingen die Menschen also rückwärtsgewandt durch das Leben.

 

Dieser wache Blick auf Gottes Handeln und seine Gebote hat mich damals sehr beeindruckt. Trotzdem konnte ich mich nicht gut darin einfinden. Muss man nicht nach vorne schauen, um den Herausforderungen der Gegenwart im Blick auf die Zukunft zu begegnen? Später verstand ich, dass beide Blickwinkel wichtig sind, weil sie einander ergänzen. Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten. Besonders deutlich wird mir das im Blick auf den Rechtsruck in vielen Ländern Europas. Mit Unbehagen denke ich an die Mahnung Ludwig Kotters: „Wer sich seiner Vergangenheit nicht erinnert, ist verdammt, sie zu wiederholen.“ Bei den vielen Gesprächen und Vorbereitungen auf die Fusion versuche ich deshalb immer wieder den Blickwechsel zu üben. Ganz bewusst wende ich mich in bestimmten Momenten um, gehe einige Schritte zurück oder zur Seite, um zu betrachten, was hinter mir liegt. Es ist erstaunlich, wie oft sich der Weg klärt, den ich gehen kann.

 

Dieser Blickwechsel, den Menschen schon zu biblischen Zeiten praktiziert haben, kann uns auf dem Weg in die neue Gemeinde behilflich sein. Es ist ein Blick zurück nach vorne.

Pfarrer Joachim WÖRNER

30.07.2024